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So ritten die Niflungen immer ihren Weg...

...bis sie kamen zum Rhein, wo Duna und Rhein zusammenkommen. Das war breit da hinüber, wo die Flüsse sich treffen.

So wird in der Thidrikssage, eine der Quellen für die Nibelungensage, jene Uferstelle beschrieben, an welcher die Nibelungen (Hagen, Gunther und Anhang) über den Rhein setzten, auf ihrem Weg zu König Etzels Hof und damit auf dem Weg in den Untergang. Weitaus bekannter ist die Version, die auf eine prominentere, spätere Quelle zurückgeht, das Nibelungenlied, entstanden um 1200. Dort ist es die Donau, die von ihnen überquert wird.

Was hat das alles mit der Bergischen Heideterrasse zu tun?
Nichts, wenn man der traditionellen Lied-Version folgt, wonach die germanisch-burgundischen Nibelungen von ihrem Sitz in Worms am Rhein über die Donau nach Ungarn zogen ins Hunnenreich von König Etzel, dem historischen Attila (gest. 453 n. Chr.).

In Zusammenhang mit der Heideterrasse schon interessanter ist der Ansatz von Heinz Ritter-Schaumburg, welcher von der bereits genannten Thidrekssage als der historisch ursprünglicheren Quelle ausging, mit der Beschreibung von realen Ereignissen in einem konkreten geographischen Raum, und die dortigen Angaben und Namen neu interpretierte. Demnach saßen die Nibelungen/Niflungen zwar immer noch am Rhein bzw. in Rheinnähe, aber nicht mehr in Worms sondern unweit von Köln im Raum Zülpich, am Neffelbach.
Wenn man wie Ritter-Schaumburg der Versuchung widersteht und König Atli/Etzel nicht mit dem gleich klingenden Attila gleichsetzt sondern Atli bleiben lässt, als König der germanisch-westfälischen Hünen, und nicht der Hunnen, dann brauchten die Niflungen natürlich auch nicht über die Donau zu setzen, um seine Burg im heutigen Soest zu erreichen sondern mussten über den Rhein - wo die Duna mit demselben zusammen fließt.

Man ahnt es wohl schon: Ritter-Schaumburg identifizierte die Dhünn als jene Duna, die 1840 umgeleitet wurde und seitdem kurz vor der Rheinmündung in die Wupper mündet. Somit wären Hagen, Gunther und die übrigen Mannen an jener Stelle beim heutigen Wiesdorf übergesetzt, wo aufgrund der Einströmung seit alters her eine Flachstelle und somit eine Furt bestand.

Mutzbachfurth nördlich Dünnwald; der Mutzbach wird heute bei Leverkusen in die Dhünn geleitet
Mutzbachfurth nördlich Dünnwald; der Mutzbach wird heute bei Leverkusen in die Dhünn geleitet
© Holger Sticht
Diese Tatsache verleitet Ritter-Schaumburg zu einer weiteren These: "Es wäre nicht zu verwundern, wenn Caesar seine Rheinbrücke hier geschlagen hätte." - statt beim allseits vermuteten Andernach, um anSchließend 18 Tage lang die Siedlungen und Felder der in die Wälder geflüchteten germanischen Sugambrer/Ubier zu zerstören. Ob bei dieser Militär-Aktion auch die Heideterrasse von römischen Legionärssandalen betreten wurde, wissen wir nicht, ebenso nicht, wie Siedlungs-, Feld- und Waldstruktur entlang des rechten Rheinufers um 50 v. Chr. sich genau zusammengesetzt hat.

Aber da wir schon bei Caesar sind: Immerhin liefert dieser einen interessanten Bericht von jenen Wildtieren Germaniens, "die sich am meisten von den uns [aus römischer Sicht: mediterrane Anwohner] bekannten unterscheiden und besonders merkwürdig erscheinen. (...) Es gibt ein Rind in der Gestalt eines Hirsches; es hat in der Mitte seiner Stirn zwischen den Ohren ein Horn, das stärker hervorragt und gerader ist als die Hörner, die wir kennen. In seiner Spitze teilt es sich in der Art von Blättern und Zweigen weit auseinander. Männliches und weibliches Tier sehen gleich aus, auch ihre Hörner haben dieselbe Form und Größe [Rentier?].

"Gezähmte" Nachfahren des Auerochsen auf der Heideterrasse heute
© Holger Sticht
Daneben gibt es Tiere, die Elche genannt werden [...appellantur alces...]. Sie sehen ähnlich aus wie Ziegen und haben auch ein buntes Fell. Sie sind jedoch etwas Größer als Ziegen, haben stumpfe Hörner und Beine ohne Gelenkknöchel. Sie legen sich zur Ruhe nicht nieder und können nicht wieder auf die Beine kommen oder sich wenigstens vom Boden erheben, wenn sie zufällig zu Fall kommen und stürzen. Sie benutzen daher Bäume als Ruhestätten; daran lehnen sie sich und können so, etwas zur Seite geneigt, ausruhen. Wenn Jäger aus ihren Spuren herausfinden, wohin sie sich gewöhnlich zur Ruhe zurückziehen, untergraben sie von den Wurzeln her alle Bäume an dieser Stelle oder schneiden sie nur so weit an, dass der Eindruck erhalten bleibt, als stünden die Bäume fest. Wenn sich die Tiere nach ihrer Gewohnheit daran lehnen, bringen sie mit ihrem Gewicht die ihres Halts beraubten Bäume zu Fall und stürzen zusammen mit ihnen um.
Eine dritte Art heißt Auerochsen ["Ur"]. Diese sind etwas kleiner als Elefanten und haben das Aussehen, die Farbe und die Gestalt von Stieren. Sie besitzen gewaltige Kräfte, sind sehr schnell und schonen weder Menschen noch wilde Tiere, wenn sie sie einmal erblickt haben. Die Einheimischen setzen allen Eifer daran, sie in Gruben zu fangen und zu töten. (...) Selbst wenn man sie als ganz junge Tiere fängt, können sie sich nicht an den Menschen gewöhnen und gezähmt werden."

Man kann bei dem erstgenannten Tier nur grob spekulieren, dass es sich um das Rentier handelt, welches Caesar aber wohl kaum in seinem rheinischen Operationsgebiet selbst zu Gesicht bekommen haben dürfte, wenn doch, würde das ein ganz neues Bild auf das Landschaftsbild des Rheinlandes in germanischer Zeit werfen, denn Rentiere siedeln wir heute vornehmlich in Kältesteppen an, nicht in germanischen Urwäldern.

Auch den steifbeinigen Elch dürfte er nie gesehen und sich mehr auf germanisches Jägerlatein verlassen haben, dennoch ein Hinweis darauf, dass der in unserem Bewusstsein in Skandinavien heimische Elch auch im Rheingebiet ein fester Bestandteil der Fauna war, ebenso wie der Auerochse, dessen Beschreibung am wenigsten skurril erscheint, den Caesar vermutlich selbst zu Gesicht bekommen hatte oder aus anderen Regionen kannte.

Rund 600 Jahre später, in merowingisch-nibelungischer Zeit, wird von einem fränkischen König Gunthram berichtet, der einen Bediensteten grausam bestrafen ließ, weil er im königlichen Jagdgebiet der Vogesen einen Büffel gewildert hatte. Ob der Autor der Quelle, Bischof Gregor von Tours, einen Wisent oder Ur gemeint hatte können wir nicht mehr bestimmt sagen, wahrscheinlich war ihm dieses Detail auch egal. Jedenfalls scheint diese oder die andere Wildrindart auch um 590 n. Chr. noch in bejagbarer Anzahl westlich des Rheins und damit im zivilisierteren Teil des Frankenreiches vorgekommen zu sein. Warum dann nicht auch im unzivilisierteren Teil östlich des Rheins?

Damit sind wir zeitlich wieder bei den Nibelungen angekommen, die, wenn es sie denn gegeben hat, evtl. gerade in jener Epoche mit der bereits geschilderten Flussüberquerung beschäftigt waren.
Am anderen Rheinufer gegen Abend eher glücklich nach einer Fährhavarie angekommen, machten sie sich gleich auf zu ihrem nächsten Etappenziel, der Burg "Bakalar" von Markgraf Rüdiger. Der ortskundige Hagen geleitete seine Gefährten gemäß Ritter-Schaumburg über einen alten Höhenweg, der von der Rheinfurt aus südlich der Dhünn verlief und ins Bergische führte. Als die Nibelungen Bakalar, das heutige Altenberg (Ritter-Schaumburg) mit dem entsprechend benannten Dom, noch am gleichen Abend erreichten, hatten sie die rheinische Mittelterrasse ungefähr dort durchquert, wo wir heute eine Grenze ziehen  zwischen der Südlichen und der Nördlichen Heideterrasse, nicht aus geographischen oder geologischen Gründen sondern weil der Industriestandort Leverkusen hier den Naturraum jäh durchschneidet.

"Gezähmte" Nachfahren des Auerochsen auf der Heideterrasse heute
© Holger Sticht
Wir hätten gern mehr topographische Hinweise aufgenommen gerade für dieses Wegstück, ob sie durch dichten Wald ritten oder offenes (Heide-)Gelände, ähnlich der Gnita-Heide, die sie laut einer weiteren Sagen-Variante durchritten, um einen vagen Vergleich ziehen zu können von dem Landschaftsbild in merowingisch-frühmittelalterlicher Zeit um 500 zu heute. Doch dazu hatten es Hagen und Gunther zu eilig, durchnässt wie sie waren und vom Dunkel der hereinbrechenden Nacht umhüllt. Immerhin spannend ist sie schon, die Vorstellung von der Kriegerschar der Nibelungen, wie sie über die Heide ihrem tragischen Schicksal entgegen reiten, wo wir heute im Grünen spazieren gehen...

Literatur und Quellen:

Caesar, Commentarii de bello Gallico, hier v.a. Buch IV, 18 (Rheinüberquerung) und Buch VI, 25 (Beschreibung Wildtiere)

Gregor von Tours, Zehn Bücher Geschichten, 10. Buch, 10 (Büffel-Wilderer).

Ritter-Schaumburg, Heinz, Die Nibelungen zogen nordwärts, 1981, F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München-Berlin

Forschungen zur Thidrekssaga, Band 1+2, Thidrekssage-Forum e.V. (Hrsg.), Bonn 2002

Das Nibelungelied, Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, herausgegeben und übersetzt von Helmut Brackert, Fischer Taschenbuch Verlag, 1971

Dünnwalder Wald
Bündnis Heideterrasse e.V.